Kommentar zum Strukturwandel
Die Bürgermeister der vom Aus der Braunkohleverstromung betroffenen Kommunen schlagen Alarm. Sie sehen die Anliegen ihrer Städte in den bisherigen Plänen zum Strukturwandel nicht ausreichend gewürdigt. Wenn man bedenkt, dass die Kommission im Bund erst vor zwei Monaten vorgeschlagen hat, den Kohleausstieg zu beschleunigen, wirkt dieses Klagen vielleicht ein wenig verfrüht. Natürlich liegt der Ball nun in Berlin. Dort müssen die Forderungen der Kommission in Gesetze oder sogar in einen Staatsvertrag gegossen werden, damit das Beschlossene auch für Nachfolgeregierungen gilt.
Dass dies noch nicht geschehen ist, bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass man in der Bundeshauptstadt die Hände in den Schoß legt. Hinter den Kulissen laufen die Gespräche mit den Betreibern der Kraftwerke und Tagebaue, damit der Fahrplan bis 2035 festgezurrt werden kann. Da es auch dort um viel Geld, um Milliarden Euro geht, sind die Verhandlungen nicht in einer Runde erledigt.
Lobenswerter Schulterschluss
Nun preschen die Bürgermeister der betroffenen Kommunen nach vorne und fordern mehr Mitsprache. Das ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern sogar ihre Pflicht. Die Verwaltungschefs haben vom Wähler den Auftrag erhalten, für ihre Kommune das Beste herauszuholen. Das gilt auch für den Strukturwandel. Lobenswert ist der Schulterschluss der Kommunen. Es darf nämlich nicht der Eindruck entstehen, dass man sich beim Ringen um die Fördermillionen gegenseitig das Wasser abgräbt. Nicht jede Kommune kann schließlich alles leisten und anbieten.
Die erst schleppenden Bemühungen haben Fahrt aufgenommen. Viele Pläne liegen in der Schublade, viele Dinge sind schon auf dem Weg. Der Brainergy-Park in Jülich, der Kreis Düren als Wasserstoffregion, das Industriedrehkreuz Weisweiler sind inzwischen mehr als nur fixe Ideen, die Projekte sind sehr konkret. Der Strukturwandel wird als Chance verstanden. Allerdings wird vieles noch von bürokratischen Hürden ausgebremst. Die Anrainer-Kommunen sorgen sich darüber hinaus, dass Geld nicht bei den unmittelbar Betroffenen landet, sondern die Fördermillionen in andere Städte und Gemeinden fließen. Von „Gießkannenprinzip“ war gestern die Rede.
Aufbruchstimmung
Land und Bund müssen also einiges aufholen, damit die aufkeimende Aufbruchstimmung nach dem Braunkohle-Aus wachsen kann. Auf den neuen Regionalplan, der spätestens im Jahr 2023 in Kraft treten soll, kann man nicht warten, denn schon ein Jahr vorher werden weitere Kraftswerksblöcke im Rheinischen Revier vom Netz gehen. Die Zeit drängt – das muss auch der Bundesregierung bewusst sein. Betroffene sollen zu Beteiligten werden – so lautet die inoffizielle Überschrift über den Schulterschluss der Bürgermeister. Diesen Satz sollte man in Düsseldorf und in Berlin sehr ernst nehmen. Denn nicht dort muss man dafür sorgen, dass der Strukturwandel und damit eine Jahrhundertaufgabe gelingen, sondern in Niederzier, Merzenich, Eschweiler und Titz.
p.nowicki@zeitungsverlag-aachen.de
Quelle: https://epaper.zeitungsverlag-aachen.de/2.0/#/read/az-e/20190330?page=3&article=51338771