Seit drei Jahren tobt in Inden ein erbitterter politischer Kampf. Der Bürgermeister steht gegen weite Teile des Rates.
Inden. Zwei Entscheidungen ergeben ein Sinnbild für das beispiellose Scheitern der Politik in der Gemeinde Inden. Es sind keine politischen Entscheidungen, sondern Strafanträge, gestellt bei der Staatsanwaltschaft Aachen. Auslöser ist Jörn Langefeld, der am 22. Oktober 2015 als Bürgermeister der Gemeinde Inden vereidigt worden ist.
Der Mann, der Anwalt war, bevor er Bürgermeister wurde, agiert bis heute wie ein Anwalt. In Summe hat er mehr als zwei Strafanträge gestellt gegen seine politischen Gegner. Zwei allerdings sind entscheidend. Den ersten stellte Langefeld wenige Tage nach seinem Amtsantritt gegen seinen Vorgänger Ulrich Schuster, weil der laut Langefeld Geld der Gemeinde veruntreut hat. Und dann gibt es noch einen ganz frischen Strafantrag gegen Mitglieder des Hauptausschusses der Gemeinde Inden. Das Gremium hatte sich vor den Sommerferien in geheimer Abstimmung mehrheitlich gegen einen Antrag Langefelds ausgesprochen, Altbürgermeister Schuster zusätzlich zum Strafantrag noch mit einer Schadenersatzklage zu überziehen. Langefeld sieht darin einen „Fall von versuchter Untreue durch Unterlassung“ und hat Strafantrag gegen die Mitglieder des Hauptausschusses gestellt. Ein in der Form absolut ungewöhnlicher Vorgang.
Politischer Totalschaden
Das Vertrauen in den Bürgermeister ist jetzt endgültig erloschen.
Rudi Görke, Fraktionschef der Indener SPD
Neben dem Stellen von Strafanträgen und Anzeigen gehört auch das Androhen solcher zu Langefelds häufig gewählten Mitteln der Wahl. Mehrere Ratsmitglieder berichten davon. Hella Rehfisch beispielsweise, Grünen-Fraktionschefin und Ortsvorsteherin in Inden-Frenz, sah sich zwei Strafanträgen Langefelds und weiteren Androhungen gegenüber, auf die sie mit einem Gegenantrag reagiert hat. In keinem der drei Fälle erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. „Ich rede nur noch unter Zeugen mit dem Bürgermeister“, sagt Rehfisch.
Nach Informationen unserer Zeitung ist nicht mehr damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft nach knapp drei Jahren Ermittlung noch Anklage gegen Alt-Bürgermeister Ulrich Schuster erhebt. Der Urknall des politischen Streits in Inden wäre damit verpufft. Auch der jüngste Strafantrag gegen die Mitglieder des Hauptausschusses dürfte damit ins Leere laufen. Die Folgen des Dauerstreits allerdings sind in der aktuellen Konstellation kaum noch zu beheben, das beweisen die Streitparteien seit drei Jahren. Inden ist ein politischer Totalschaden. Bei wesentlichen Entscheidungen agieren der parteilose Langefeld und die Ratsmehrheit aus CDU, SPD und Grünen beinahe schon aus Prinzip gegeneinander. Eine gemeinsame Strategie, die das vom Tagebau so stark gezeichnete Inden sich für die Zukunft aufstellen soll, ist nicht möglich. Alles braucht mehr Zeit, fast nichts geht ohne Streit.
Langefeld war als parteiloser Bewerber im Oktober 2015 auf den Bürgermeisterstuhl gekommen. Unterstützt wurde er von der Fraktion der Unabhängigen Demokratischen Bürger (UDB), die heute noch hinter ihm steht. Seine Wahlversprechen kamen an, wie sein Vorgänger als Parteiloser unabhängig zu handeln, darüber hinaus als Anwalt der Gemeinde zu ihrem Recht zu verhelfen und hart durchzugreifen, wenn nötig. Am 22. Oktober 2015 wurde Langefeld mit dem zweiten Tagesordnungspunkt der Ratssitzung vereidigt. Unmittelbar danach lieferte er sich den ersten Schlagabtausch mit den beiden Altvorderen im Rat, Josef Johann Schmitz (SPD) und Reinhard Marx (CDU). Wer den ersten Stein geworfen hat, liegt dabei im Auge des Betrachters. War es Langefeld, der als erste Amtshandlung einen Parkplatz vor dem Rathaus für sich hatte einrichten lassen, obwohl sein Vorgänger darauf elf Jahre lang verzichtet hatte? Oder waren es Schmitz und Marx, die das Thema in die Sitzung zogen, obwohl Bürgermeister-Parkplätze nicht unüblich sind? Der eigentliche Grund für den ersten Streit ist wohl, dass die Beteiligten sich schlicht noch nie leiden konnten.
In jener Sitzung setzte der Rat gegen die Stimmen der UDB durch, dass die Bürgermeister-Vollmachten beschnitten werden. Unter anderem übertrug der Rat das Recht, juristische Berater im Namen der Gemeinde einzuschalten und im Namen der Gemeinde zu klagen, vom Bürgermeister auf den Hauptausschuss. Langefeld hat das mehrfach beanstandet bei der Dienstaufsichtsbehörde, dem Kreis Düren. Jedes Mal hat der Kreis den Rat bestätigt. Im vergangenen Jahr versuchte Langefeld vergebens, den Ratsbeschluss zu kippen. In der nächsten Sitzung am Mittwoch erneut.
Anfang 2016 Langefeld warf bewusst ein Horrorszenario an die Wand und unterstellte allen Handelnden – kurz gesagt – , vor seiner Zeit als Bürgermeister versagt zu haben. Das könne nur noch mit drastischen Maßnahmen korrigiert werden. Inden hätte demnach bis zum Jahr 2022 einen deutschlandweiten Rekord-Steuersatz von den eigenen Bürger verlangen müssen. 2200 Prozentpunkte Grundsteuer B waren das Vierfache des damaligen Satzes. In jedem Jahr seitdem attestierte SPD-Mann Josef Johann Schmitz – bis heute Langefelds erbittertster Widersacher – den Haushaltsentwürfen des Bürgermeisters eklatante handwerkliche Mängel. In jedem Jahr hat der Kreis Düren als Aufsichtsbehörde den Haushalt bestätigt, den der Rat nach langen Beratungen gegen Langefelds Empfehlung aufgestellt hat. 780 Prozentpunkte ist der aktuelle Wert. Trotzdem war es dem neuen Bürgermeister gelungen, direkt zu Beginn zu zeigen, dass er bereit ist, hart durchzugreifen.
Das wird an keiner Stelle so deutlich wie an der Causa Ulrich Schuster. Der Alt-Bürgermeister hatte um das Jahr 2010/11 Geld, das er RWE als Ausgleichszahlung abgetrotzt hatte, nicht in den Haushalt der Gemeinde eingestellt, sondern als Sonderguthaben verbucht. Eine verschuldete Kommune muss jede Einnahme nutzen, um den Haushalt zu entlasten. Mit dem Geld, ursprünglich knapp 370 000 Euro, finanzierte Schuster unter anderem den Bau des Parkplatzes an der Aussichtsplattform Indemann, seitdem eine sprudelnde Geldquelle für Inden.
Strafantrag wie ein Urknall
Langefeld machte sich mit Feuereifer daran, die Sache Schuster an die Öffentlichkeit zu bringen. „Mit zittrigen Händen hat Ulrich Schuster mir die schwarze Kasse gebeichtet“, hat Langefeld berichtet. Indens neuer Bürgermeister stellte Ende 2015 jenen ersten Strafantrag, den Urknall des Dauerstreits. Im Heimatdorf des Vorgängers trat Langefeld Anfang 2016 bei einer Karnevalssitzung als Finder der schwarzen Kasse auf. Dafür hat er sich später entschuldigt. Gleichwohl berichtet Langefeld ungefragt davon, wie er die Sache Schuster verfolgt. Zuletzt war das so, als er bekannt gab, dass er Schuster im Namen der Gemeinde eine Schadenersatzforderung über mehr als 20 000 Euro geschickt habe. Daraufhin sagte der SPDFraktionsvorsitzende Rudi Görke: „Das Vertrauen in den Bürgermeister ist jetzt endgültig erloschen.“
Mutmaßlich wusste Langefeld nicht, dass Schusters zitternde Hände auf ein gesundheitliches Problem zurückzuführen waren. Die Interpretation eines schlechten Gewissens hatte er allerdings schnell zur Hand. Die Vorverurteilung seines Vorgängers wiederholt er bis heute. In einem Schreiben, mit dem er den jüngsten Strafantrag ankündigt, spricht von „einredefreien und durchsetzbaren Forderungen der Gemeinde“ gegen Schuster. Das ist den Unterlagen der nächsten Ratssitzung am Mittwoch zu entnehmen. Genau wie die Antwort von CDU und SPD: Sie sprechen in einer Vorlage von ungeheuerlichen Vorwürfen, „die durch nichts bewiesen werden, als nur durch die unmaßgebliche persönliche Rechtsauffassung des Bürgermeisters“.
Ende 2016 hat Langefeld seine ehemalige Anwaltskanzlei, die heute von seiner Frau geleitet wird, beauftragt, die Gemeinde in der Sache gegen Schuster zu vertreten. Das stellt einen Verstoß gegen die Zuständigkeitsordnung der Gemeinde dar, wie sie 2015 in der Sitzung am 22. Oktober beschlossen worden war. „Darauf pfeife ich. Ich will hier vernünftige Arbeit machen“, sagte Langefeld auf Nachfrage. Auf der anderen Seite verweigert er SPD-Mann Schmitz nach dessen Aussage bis heute den kompletten Einblick in die Schuster-Akten. Und das, obwohl der Kreis Düren schon vor über zwei Jahren erklärt hatte, dass Schmitz als Vorsitzender des Indener Rechnungsprüfungsausschusses das Recht dazu hat.
Schmitz hätte die Akteneinsicht längst einklagen können. Schuster hätte gegen die wiederholten Vorverurteilungen Langefelds gegen ihn vorgehen können. Stattdessen warten sie auf das Ergebnis der Ermittlungen gegen Schuster. Hier liegt der wohl größte Fehler, den Langefelds Widersacher machen. Sie warten und sammeln, während der Bürgermeister mit dem Androhen oder Einreichen von Strafanträgen oder Anzeigen um sich wirft. Das hat Wirkung gezeigt. Teile des Rates bröckeln. CDU-Mann Marx hat den Fraktionsvorsitz abgegeben und spielt – auch weil es ihn beruflich nach Berlin verschlagen hat, nicht mehr die Rolle von früher. Roul Combach (SPD), der wie Marx 2015 im Kampf um den Bürgermeisterstuhl das Nachsehen hatte, ist im vergangenen Jahr von allen Ämtern zurückgetreten. Die Politik wirke sich zu sehr auf das Privatleben aus. „Das ist zu einer Belastung geworden. Man muss sich wirklich gut überlegen, ob man so was ehrenamtlich auf sich nimmt“, sagte Hella Rehfisch zu Beginn des Jahres.
Denn trotz allen Streits steht Langefeld nicht ohne Rückhalt da. Für viele Bürger gilt er als jemand, der dem Establishment als Einzelkämpfer die Stirn bietet, jemand, dessen Faust weiß, wo der Tisch ist. Langefeld weiß zu polarisieren. Viele Feuerwehrleute stehen hinter ihm, weil er ihnen im vergangenen Jahr mehr versprochen hat als der Rat später im Brandschutzbedarfsplan genehmigt hat. Der Rat begründete das mit fehlendem Geld. Als der Plan diskutiert wurde, verlegte Langefeld eine Ratssitzung in die Bürgerhalle, viele Feuerwehrleute waren da und Langefeld konnte ihnen indirekt sagen: „Die da, das sind die, die eure Arbeit nicht wertschätzen.“
Was Langefelds Amtsführung in Anwaltsmanier mit Strafanträgen, Anzeigen und Drohungen möglich macht, ist die Position eines Bürgermeisters. Sie kennt keinen Vorgesetzten. Ein Rat kann einem Bürgermeister Anweisungen geben, aber es gibt keinen, der ihn zwingen kann, diese umzusetzen. Das müsste vor einem Gericht passieren. Bisher sind Langefelds Widersacher lieber im Ratssaal gegen ihn in den Nahkampf gegangen. Jetzt bleibt abzuwarten, was passiert, wenn die Staatsanwalt die Sache Schuster endgültig einstellt.
von Guido Jansen
Quelle: https://epaper.zeitungsverlag-aachen.de/2.0/#/read/az-e/20181008?page=7&article=402640030